Tatsächlich kann die gesamte Komplexität rund um trans, sämtlichen Diskussionen der einen und der anderen Seite und die ganzen fachlichen Erörterungen aller Beteiligten auf eine einzige grundlegende Problematik (mit zwei Fragen) reduziert werden:
– Sind trans Personen Menschen mit gesundem Körper, die jedoch ein psychisches Problem haben (sie glauben, sie wären vom anderen Geschlecht)?
oder
– Sind trans Personen Menschen mit gesundem Verstand, die jedoch mit für sie unpassenden Geschlechtsmerkmalen geboren wurden?
Im ersten Fall bräuchten trans Personen eher eine Psychotherapie bzw. psychologische Hilfe, jedoch weder eine Hormonbehandlung noch geschlechtsangleichende Operationen.
Im zweiten Fall wäre eine Korrektur von geschlechtlichen Körpermerkmalen für trans Personen berechtigt (sofern von ihnen erwünscht) und psychologische Betreuung wäre nur notwendig, um in der Gesellschaft zurecht zu kommen, nicht aber, um eine Veränderung der geschlechtlichen Selbstwahrnehmung herbei zu führen.
Diese Fragen lassen sich nicht objektiv beantworten. Es gibt keine medizinische noch eine andere wissenschaftliche Herangehensweise, die nach wissenschaftlich objektiven Standards sagen kann, welche der beiden Varianten richtig und welche falsch ist.
Es handelt sich letztendlich um Fragen, die sich nur eine Gesellschaft als Ganzes stellen kann, welche Richtung sie einschlagen möchte.
Letzten Endes handelt es sich bei der Objektivität schließlich ja auch nicht um einen Selbstzweck. Sie muss in Verbindung zu Lebenswirklichkeiten von Menschen stehen und nicht von ihnen losgelöst. Eine vermeintlich objektive Herangehensweise riskiert, den Bedürfnissen der betreffenden Menschen nicht gerecht zu werden und sie sogar zu diskriminieren und ihnen Rechte, z.B. auf eine angemessene Gesundheitsversorgung, vorzuenthalten.
Dieses gilt für viele anderen Fragen auch, wie z.B. ob Homosexualität akzeptiert wird (oder als Krankheit betrachtet wird), ob es eine Gleichstellung von Männern und Frauen geben soll (alle anderen Geschlechter lassen wir jetzt mal bewusst außen vor) und ob Menschen verschiedener Hautfarben und Religionen gleichberechtigt sein sollen. Alle diese Fragen können nicht objektiv beantwortet werden. Es gibt derzeit in der sogenannten westlichen Welt und den meisten anderen Ländern der Welt einen Konsens der Toleranz, dass alle diese genannten Personengruppen gleich berechtigt sein sollen. Dies war vor vielen Jahrzehnten noch ganz anders und könnte in mehreren Jahrzehnten auch schon wieder anders sein (was aus kinder- und menschenrechtlicher Sicht als problematisch betrachtet werden kann). Jede Gesellschaft erschafft sich ihren eigenen Konsens, axiomatische Grundvoraussetzungen, auf deren Basis sie Gesetze, Normvorschriften und Verhaltensweisen festlegt.

Verweis:
https://dejure.org/gesetze/MRK
https://www.bmz.de/de/service/lexikon/allgemeine-erklaerung-der-menschenrechte-60138
Internationale Menschenrechts-Instrumente, z.B. die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte oder die Europäische Menschenrechtskonvention (Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten) stellen eine Basis für die Durchsetzung bürgerlicher, politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte dar. Hinzu kommen nationale Regelungen durch Gesetze und Rechtsprechung.
Aus Sicht der Evolutionstheorie könnte man argumentieren, dass das Ziel jeder Spezies die Fortpflanzung ist und dafür die beiden Geschlechter männlich und weiblich notwendig sind. Erscheinungsformen wie Homosexualität oder Transgeschlechtlichkeit dienen nicht der direkten Fortpflanzung und wären somit eine krankhafte Ausprägung. In der Tat wäre das eine mögliche Betrachtungsweise. Allerdings stellt sich die Frage, warum es sowohl Homosexualität als auch Geschlechtswechsel im Tierreich gibt (beim Menschen wird hierfür der Begriff Geschlechtsangleichung verwendet). Dies legt nahe, dass es sich um „natürliche“ Vorgänge im wahrsten Sinne des Wortes handelt.
Auch ist unklar warum etwas krankhaft sein muss, was nicht sofort einem augenscheinlichen Zweck dient?
Evolution verläuft niemals geradlinig. Ausgerechnet kleine Abweichungen haben oftmals einen Einfluss auf das große Ganze und haben einen wichtigen lenkenden Zweck, der sich nicht immer sofort offenbart. Warum finden Menschen Musik im Allgemeinen schön, während manche Menschen jedoch nicht in der Lage sind, eine Melodie zu erkennen (d.h unter Amusie leiden). Bei manchen Menschen sind alle Organe des Körpers spiegelverkehrt angelegt („Situs inversus“). Hat das einen bestimmten Sinn in der Evolution oder ist es nur ein Spiel der Natur? Wieso hat der Mensch weniger Gene als der Fadenwurm? Wir wissen es nicht sicher und nach unserem heutigen Kenntnisstand ist es für die Evolution nicht ausschlaggebend.
Sprich – Homosexualität, Transgeschlechtlichkeit, Intergeschlechtlichkeit, alle sonstigen Variationen der klassisch binären Geschlechtlichkeit (weiblich / männlich) existieren schon derart lange im Bereich der Lebewesen, dass sie möglicherweise einen wichtigen, uns bisher nicht bekannten, Zweck erfüllen.
Was kann der Grund dafür sein, dass diese Variationen nicht ausgestorben sind?() Es gibt in der Evolution Ausprägungen, die für uns keinen offensichtlichen, vielleicht für uns bislang nicht nachvollziehbaren Zweck haben, die jedoch trotzdem ihre Daseinsberechtigung haben. Außergewöhnlichkeit von Einzelnen dient möglicherweise der Spezies als Ganzes.
„Es irrt der Mensch solang‘ er lebt“ wusste damals auch schon Goethe.
Der Aspekt der evolutionären Betrachtung führt unweigerlich zur Frage, wie viele Geschlechter es eigentlich gibt:
– Gibt es nur zwei Geschlechter: weiblich und männlich und alle Erscheinungsformen dazwischen sind krankhaft?
oder
– Gibt es zwei Geschlechtsformen die statistisch am häufigsten vertreten sind und des Weiteren noch viele (wenn auch selten auftretende) Zwischenstufen?
Auch diese Fragen lassen sich nicht beantworten, ohne klar zu definieren, was genau das Geschlecht ist.
Was ist das Geschlecht?
Bei dem Geschlecht gibt es viele unterschiedliche Kategorien.
Zu den meist erwähnten gehören:
– das körperliche Geschlecht,
– die Geschlechtswahrnehmung bzw. die Geschlechtsidentität
– die (geschlechtliche) Rolle, die eine Person in der Gesellschaft einnimmt
Alleine das körperliche Geschlecht hat mehrere Aspekte:
— der genetische Aspekt (Chromosomen)
— der gonadale Aspekt (Keimdrüsen wie Eierstöcke oder Hoden)
— der hormonelle Aspekt (Östrogene, Testosteron, usw. im Blut)
— die äußeren Genitalien (Vulvalippen, Klitoris, Penis, Hodensack)
— die inneren Genitalien (Vagina, Gebärmutter, Samenleiter, Prostata..)
— die sekundären Geschlechtsmerkmale
(Wir gehen auf das Geschlecht auf Seite 02.2 noch einmal genauer ein.)
„Geschlecht“ hat also viel zu viele Betrachtungsmöglichkeiten und das Thema trans ist mit derart vielen Faktoren verknüpft, dass man durchaus von einem Punkt zum nächsten und von einer Frage zu anderen springen kann, Vieles definieren und noch viel mehr erörtern könnte, aber eigentlich redet man immer um den heißen Brei herum.
Man kann keine der am Anfang des Kapitels genannten Fragen objektiv beantworten. Eigentlich weiß man nicht einmal, welches die zentrale Frage rund um das Thema trans ist. Jede Gruppierung der Gesellschaft wie auch jede Generation stellt ihre eigenen Fragen und beantwortet diese auf ihre eigene Weise. Dazu gehört, ältere Konzepte, z.B. die Betrachtung von Geschlecht (damit sind keine körperlichen Geschlechtsmerkmale gemeint!), zu hinterfragen und gegebenenfalls andere, neue Konzepte entgegen zu stellen. Durch Veränderungen der Betrachtungsweise von Geschlecht kann sich auch die Sichtweise auf Menschen ändern, die sich nicht in ihrem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht wiederfinden.
Ohne eine klare Definition des Begriffs „Geschlecht“ lässt sich nicht festlegen, was die Gesellschaft als „normal“ oder „nicht normal“ betrachten kann. Ohne diese Definition kann die Frage nach der Akzeptanz von trans auch nicht von der überwiegenden Mehrheit der Gesellschaft mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden.
Das Bestreben, trans Menschen einen wirklich gleichwertigen Platz in unserer Gesellschaft zu geben, ist also in wesentlichen Teilen auch ein Kampf um die Deutungshoheit von Begriffen.
Es sind rund 1500 Tierarten bekannt, die Homosexualität ausleben. (Durchsuchen Sie das Internet beispielsweise nach „homosexuelle Paarbeziehungen im Tierreich“.)
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