Der Kapitelname „trans werden“ ist etwas irreführend, denn: ein Mensch kann nicht trans werden.
Es kursiert landläufig die Meinung, wenn ein Kind trans ist, wäre es „trans geworden“. Das ist so nicht richtig. Entweder hat ein Mensch die Veranlagung dazu und ist trans oder er hat eben keine Veranlagung zu trans, dann wird er es auch nicht. Die meisten Menschen sind cis bzw. cis geschlechtlich, auch wenn sie hierfür die Begrifflichkeit nicht kennen und verwenden.
Wenn eine Veranlagung zu trans vorhanden ist, kann sie nicht geändert werden, genau so wenig, wie cis geschlechtliche Menschen ihre eigene Veranlagung ändern können. Man kann sich nicht aussuchen, welche Menschen man sympathisch findet, was man gerne isst, usw.. Man kann diese Veranlagung auch nicht absichtlich ändern. Für jede andere menschliche Veranlagung gilt das Gleiche.
Die Frage „Wie wird ein Kind trans?“ ist also sinnlos und nicht zielführend. Es wird durch verschiedene Faktoren bedingt und kann nicht von außen beeinflusst werden. (Wir sind absolut sicher, dass keine äußeren Einflüsse in der Lage sind zu entscheiden, ob ein Kind trans wird oder nicht. Die meisten Betroffenen teilen diese Ansicht. Es gibt aber tatsächlich auch gegenteilige Meinungen. Mehr dazu ab Kap.05)
Damit ist auch die Frage „Wann wird ein Kind trans?“ sinnlos. Man kann sie höchstens umformulieren zu „Wann erkennt ein Kind, dass es trans ist?“.
Nach heutigem Erkenntnisstand ist eine solche Vorhersage unmöglich. Hierzu gibt es eine viel zu große Variationsbreite. Manche Kindern äußern sich ihren Eltern gegenüber bereits bei Spracherwerb, anderen bringen dies erst in der Pubertät oder sogar noch später zum Ausdruck. Manche Eltern meinen Hinweise darauf bereits vor Spracherwerb zu erkennen, aber hierzu gibt es bisher keine Forschung. Die Gründe für die Variationsbreite sind so unterschiedlich wie die Menschen selbst.
Die Einschätzung hängt am ehesten mit der Frage zusammen: „Erlauben Eltern ihrem Kind, das trans Sein auszuleben?“.
Wenn ein trans Kind beispielsweise ahnt, dass die Eltern ihm niemals erlauben werden, das trans Sein weder innerhalb der Familie noch außerhalb der Familie auszuleben, wird es seine Geschlechtswahrnehmung unter Umständen bewusst oder unbewusst möglichst lange unterdrücken. Die Erkenntnis wie auch Bereitschaft über diesen Teil ihres Seins zu sprechen, kann bei einigen dann erst sehr viel später kommen. Dies erklärt unter anderem, warum manche Erwachsene erst im mittleren oder späteren Lebensalter die Geschlechtsrolle umstellen. Vor ein bis zwei Generationen war das noch eher der Regelfall. Das Thema war so wenig präsent, dass viele Kinder sich verstellten und scheinbar den Erwartungen der Gesellschaft entsprachen. Als zunehmend bekannt wurde, dass es viele Menschen wie sie selbst gab, entschieden sich ein Großteil von ihnen, die Geschlechtsrolle „umzustellen“ bzw. ihr Leben gemäß ihres Empfindens zu führen. Hierbei wird deutlich, wie wichtig es ist, dass Eltern sich informieren und austauschen. Auch heute gibt es immer noch Eltern, die Kindern dieses „Ausleben“ verbieten. Allzu häufig ist zu beobachten, dass diese Kinder darunter leiden, sich innerlich zurückziehen und nicht selten psychische, psychosomatischen und schulische Leistungsstörungen entwickeln.
Transgeschlechtlichkeit ist jedoch nicht „auszuradieren“. Häufig bahnt sie sich dann, nach vielen Jahren des Leidens, den Weg aus dem Inneren des Kindes heraus.
Mitunter ist von „Fällen“ zu lesen, dass cis Jugendliche aufgrund von Medienberichten oder Erzählungen anderer Personen, ein trans Sein simulieren (also, so tun, als ob sie trans seien). Das wäre theoretisch möglich, immerhin gibt es zu jeder Idee (und sei sie noch so sinnlos) irgendwo auf der Welt Menschen, die diese Idee umsetzen. Es gibt aber unseres Wissens keine solchen dokumentierten Fälle. Selbst wenn es Menschen geben sollte, die meinen, durch Simulation eines trans Seins irgendwelche gesellschaftliche Vorteile zu erzielen, werden diese vermeintlichen trans Menschen recht schnell wieder in ihr Geschlecht zurück wechseln, das ihnen bei der Geburt zugeordnet wurde, weil sie merken wie unangenehm, belastend und extrem kräftezehrend ein trans Sein ist.
Fazit:
Wenn Eltern Anzeichen dafür sehen, dass ihr Kind trans sein könnte bzw. geschlechtsvariantes Verhalten zeigt und entsprechende Äußerungen tätigt, sollten sie es beobachten und ermutigen seinen Weg zu gehen, welches der auch immer sein möge.
Falls das Kind tatsächlich trans sein sollte, kann sowieso nichts dagegen getan werden. Arbeitet man dagegen, besteht eine große Gefahr, dass das Kind geschädigt wird, was sich mitunter auch erst Jahre später zeigen kann. Es ist für Eltern, Erziehungsberechtigte und alle anderen Personen aus dem Umfeld klüger, Frieden mit der Situation zu schließen, es gibt Schlimmeres.
Falls das Kind nicht wirklich trans sollte, wird es nach Beendigung dieser Phase (wie lange diese sich auch hinziehen möge) von alleine wieder in sein ursprünglich zugeordnete Geschlecht zurück wechseln.
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