Vorab ein kleiner Hinweis zum Begriff „Outen“. Dieser Begriff wird häufig umgangssprachlich anstelle von „Coming-out“ verwendet, obwohl er etwas anderes meint. Bei „Outen“ geht es darum, dass eine außenstehende Person ein intimes, persönliches Detail aus dem Leben eines anderen Menschen an dritte Personen unerwünschterweise weitergibt. Dies ist also nicht mit der betreffenden Person abgesprochen und stellt eine Verletzung der Privatsphäre dar. Bei der intimen, persönlichen Information kann es sich um die geschlechtliche Selbstzuordnung handeln, aber auch um die sexuelle Orientierung oder ein anderes persönliches Detail.
Beim Coming-out berichtet eine Person selbst anderen gegenüber intime und sie betreffende persönliche Details.
Der Begriff „outen“ kann sprachlich zwar manchmal eleganter eingesetzt werden, hat aber inzwischen eine andere Bedeutung.
Die Frage nach dem Coming-Out ist für einen Teil der trans Personen von zentraler Bedeutung. Insofern, als trans Personen immer noch mit Diskriminierung und Vorurteilen leben müssen, erscheint die Frage „Wieviel sollte das gesellschaftliches Umfeld wissen?“ bedeutsam.
Die Vorstellung, dass niemand außerhalb des engen Familienkreises etwas von der „trans Thematik“ weiß, ist in der Anfangsphase der Transition sicherlich verlockend. In der Praxis kann dieses jedoch mit ungeheurem psychischem Stress für alle Beteiligten verbunden sein, hauptsächlich für die betreffende Person selber.
Geheimnisse zu bewahren, kann nämlich sehr anstrengend sein.
Die Umgebung einweihen oder nicht? Beide Vorgehensweisen können befreiend oder unangenehm sein. Reagiert das Umfeld positiv, fällt durch das Coming-Out eine ungeheure Last vom Kind ab, das Geheimnis zu bewahren, wäre eher stressbehaftet.
Reagiert das Umfeld negativ, wäre das Coming-Out mit recht unangenehmen Konsequenzen verbunden, das Geheimnis zu bewahren (also ein stealth Leben zu führen) wäre viel entspannter.
Nicht alle Kinder machen ein Coming-Out. Es gibt trans Personen, die gut ohne ein solches leben. Ihre Aufgabe als Eltern/Erziehungsberechtigte wird also sein, Ihr Umfeld bzw. das des Kindes einzuschätzen. Möglicherweise haben Sie Glück und eine Person hatte in diesem Umfeld bereits ein Coming-Out, dann können Sie auf diese Erfahrungswerte zurückgreifen.
Wenn Ihre Umgebung auf das Thema „trans“ aufgeschlossen reagiert, werden Sie das auch als ungeheure Erleichterung erleben. Es ist jedoch schwer einzuschätzen, wie die einzelnen Personen darauf reagieren.
Sie werden einige Überraschungen erleben!
Menschen, die Sie üblicherweise als offen einschätzten, werden Ihnen möglicherweise plötzlich mit Unverständnis und Ablehnung begegnen, Menschen, von denen Sie es nie erwartet hätten, werden Toleranz zeigen und Ihnen durch entspannte Gelassenheit dem Thema gegenüber eine Stütze sein.
Es kann sein, dass Personen, die aufgrund ihres Seins Bullying bzw. Diskriminierung erlebt haben, überhaupt kein Bedürfnis verspüren, sich anderen mitzuteilen, um sich zu schützen. Sie ziehen es oftmals vor, ihr trans Sein nicht mitzuteilen. Dies wird auch als „deep stealth“ Leben bezeichnet. Manche Menschen „erfinden“ z.B. eine Pubertätsgeschichte, wann sie die erste Regelblutung bekamen oder den Stimmbruch.
Beide Arten und Weisen, mit dem eigenen Sein umzugehen und es mitzuteilen oder eben nicht, vielleicht auch nur zum Teil, d.h. bestimmten Vertrauenspersonen gegenüber (dies wird als moderate stealth bezeichnet), haben Vor- und Nachteile, die gegeneinander abgewogen werden müssen. Kein Weg ist besser als der andere. Wichtig ist, sich zu vergegenwärtigen, dass es Ihr Kind ist, das mit einer getroffenen Entscheidung leben muss. Wenn es zunächst den Weg wählt, stealth zu leben, hat es später die Möglichkeit, sich mitzuteilen, also ein Coming-out durchzuführen. Einmal ein Coming-out durchgeführt, verhindert dies meist ohne Wohnortwechsel zu einem späteren Zeitpunkt stealth zu leben.
Es kommt vor, dass außenstehende Professionelle (z.B. Lehrer, Mediziner, Psychologen,…) Sie oder Ihr Kind aus verschiedenen Gründen dazu drängen, ein Coming-Out durchzuführen. Dieses sollten Sie auf jeden Fall ablehnen. Ein Coming-Out ist einzig und allein die Entscheidung von Ihnen und Ihrem Kind. Kein Mensch darf zu einem Coming-out gedrängt werden, zumal die Person die einzige ist, die unter den (oftmals negative Konsequenzen) zu leiden hat. Sollte nämlich das Coming-Out schief gehen, muss schließlich das Kind mit unangenehmen Folgen auf dem Schulhof, etc. leben. Der/die Außenstehende hat da leicht reden. Also: nicht drängen lassen!
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